Der Tag auf den ich seit zwei Jahren gewartet habe
Heute haben sich 11 von 12 Bay Area Counties dazu verpflichtet, die Maskenpflicht in den meisten Bereichen abzuschaffen, einschließlich Büros, Restaurants, Bars, Fitnessstudios, Lebensmittelgeschäften und Museen. Im Grunde eigentlich allem, außer den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie erleichtert ich über diese Nachricht bin. Warum?
Nun, zu erst einmal ist mir natürlich bewusst, dass uns das einheitliche Tragen von Masken und das stringente Befolgen der AHA-Regeln (wie sie in Deutschland sie schön genannt werden) während der Pandemie sicher viele Vorteile gebracht hat, allen Voran der Schutz vulnerabler Gruppen und die Vermeidung der unkontrollierten Ausbreitung des Virus. Und – verglichen mit Lockdowns, Schließung von Arbeitsstätten und dem Verlust unzähliger Menschenleben – mag die Maskenpflicht für viele wohl als das kleinere Übel erscheinen. Deshalb hoffe ich doch sehr, dass ich mit meiner Aussprache gegen die Masken nicht als egoistisch, querdenkerisch, oder sonst wie politisch motiviert rüberkomme. Gerade hier in den USA ist die Debatte inzwischen dermaßen politisiert, dass das Tragen einer Maske inzwischen vielmehr ein Symbol der politischen Zugehörigkeit, als dem Schutz der Mitmenschen dient. Nicht ohne Grund tragen die Leute hier selbst beim nächtlichen Spaziergang mit dem Hund Maske – freiwillig, wohlgemerkt, und gern auch mit bedeutungsschwangeren Sprüchen oder eben einfach nur unmissverständlich in blau. Insofern werd ich einen Teufel tun, mich auf die politische Diskussion einzulassen. Aber ich kann sagen, dass sie mir – einer im Ausland lebenden Deutschen – nicht nur Vorteile gebracht hat, sondern insbesondere die so notwendige Integration in fremde Kulturen erheblich beeinträchtigt, wenn nicht sogar gänzlich verhindert hat.
Seit meinem 30. Geburtstag im Jahr 2020 mussten wir in Singapur immer und überall Maske tragen, sobald wir das Haus verlassen haben. Ja, auch wenn niemand in unmittelbarer Nähe war und wir theoretisch hätten genug Abstand halten können. Die Befolgung dieser Maßnahme wurde so streng kontrolliert (und mittels Kameras und sogenannten Safe Distancing Ambassadors überwacht, ich hatte hier bereits darüber geschrieben), dass sich die Leute rigoros daran hielten und es auch bis heute niemals infrage gestellt, oder sich dagegen aufgelehnt haben. Als wir nach San Francisco gezogen sind, hatten wir eigentlich eine andere Situation erwartet, immerhin sind die USA kulturell gesehen das komplette Gegenteil zum kollektivistisch-geprägten Asien. Allerdings hatten wir die politischen Unruhen nicht beachtet, die das Tragen einer Maske zum Symbol für die politische Solidarisierung gemacht hat, was zur Folge hat, dass die Bay Area als extrem demokratisches Gebiet genau so universell maskiert ist, wie das autokratische Singapur.
Die unwiderlegbaren, schützenden Eigenschaften der Masken und Abstandsregeln einer Pandemie mal dahingestellt, hat das universelle Maskieren per Gesetz unsere Integration in beiden Städten nachdrücklich beeinträchtigt, und in Singapur sogar letztendlich verhindert. Mit der erfolgreichen Integration im Ausland geht auch die Fähigkeit einher, sich an kulturelle Gewohnheiten (ironischerweise einschließlich der Maskenpflicht) anzupassen und sich weitestgehend, bestmöglich, sprachlich verständigen zu können. Und das war – dank der Masken – nicht leicht. Wir Menschen nutzen das Lippenlesen, um uns in der Welt zu verständigen, insbesondere in der Kommunikation in einer fremden Sprache. Wie soll man den akustischen Unterschied zwischen “vest” und “west” verstehen und die verbale Nuancen zu differenzieren erlernen, wenn man nicht sieht, wie der Muttersprachler gegenüber die Lippen und Zunge formt?
Zudem entwickeln wir auch non-verbale, interkulturelle Kommunikationsfähigkeiten, in dem wir jemanden ins Gesicht schauen. Körperliche Interaktion und Kommunikation so wichtig, um voneinander zu lernen, und Standpunkte und Gefühle auszutauschen, Empathie zu entwickeln. Durch die Maskieren werden wir alle universell und irgendwie auch anonym, wodurch – meiner Befürchtung nach– auch das Moralverständnis etwas leidet. Wenn früher ein Maskierter eine Bank oder einen Supermarkt betreten hätte, wären bei uns alle Alarmglocken angegangen. Heutzutage ist es genau andersherum, wodurch wir Menschen uns voneinander entfernen, physical distancing und so, aber eben auch emotional. Dadurch fällt es schwerer, in Kontakt zu treten. Ganz vereinfacht gesagt.
Obendrein ist das (Nicht-)Tragen einer Maske wie zuvor schon angedeutet nun auch derart symbolisiert und scheint seiner Umgebung auf direktem, visuellem und unmissverständlichem Weg nicht nur die Sozialkompetenz, sondern auch die politische Einstellung mitzuteilen. Wer in San Francisco auf der Straße keine Maske trägt, der gilt bestenfalls als egoistisch. Aber in der Regeln führt das zu einer Kaskade von Annahmen über deine Person (No Masks = Anti Social = Republican = Anti Democratic = Anti Science… und so weiter), die es schwer abzuwenden gilt. Da bleibt nur Maske tragen, oder eben nicht.
In jedem Fall führen all diese Punkte zu einer Veränderung des eigenen Verhaltens, so viel habe ich sowohl in Singapur, als auch in San Francisco an meiner eigenen Person gemerkt. In Singapur ging die Angst im Gefängnis zu landen, weil ich wohlmöglich versehentlich eine Regel gebrochen, oder unbewusst ein politisches Statement gesetzt hätte, so weit, dass ich irgendwann kaum mehr rausgegangen bin. Den Kontakt zu Singapurer hab ich gänzlich vermieden, die waren ja quasi der Ursprung allen Übels. So viel zu Inklusion und Integration. Wir wissen ja alle, wie das endete.
Wenn man also bedenkt, dass wir schon einmal eine Stadt verlassen haben, war ich sehr erleichtert, zu hören, dass das verpflichtende Maskieren in der Bay Area nun vorbei zu sein scheint. Ich weiß nicht, ob das all die Probleme löst, denn die Symbolkraft der Maske wird wohl nicht so schnell verschwinden, wie das Mandat. Aber immerhin hab ich jetzt wieder eine Wahl und meine Integration wieder mehr selbstständig in der Hand.
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