Woher kam also der Wunsch, ins Ausland gehen zu wollen?
Im Gegensatz zu mir, war mein jüngerer Bruder im Rahmen der 11. Klasse im Ausland. Und während mein Auslandsaufenthalt, hätte er denn stattgefunden, aufgrund meiner schulischen Ausrichtung, eher in Frankreich gewesen wäre, sehnte er sich nach dem englischsprachigen, für uns aus damaliger Sicht weit entferntem Amerika. So verbrachte er ein ganzes Schuljahr in Portland im Bundesstaat Oregon. Am Ende seines Aufenthalts besuchten ihn meine Eltern und ich, um von dort aus die Westküste Amerikas mit dem Auto zu erkunden. Und ich vermute ganz stark, dass hier der Ursprung meines Wunsches liegt. Denn bei der Abholung meines Bruders konnte ich sehen, was für eine Entwicklung er in einem Jahr gemacht hatte – nicht nur sprachlich, sondern auch in vielen anderen Hinsichten. Als größere Schwester war ich natürlich vor allem stolz auf meinen kleinen Bruder, aber vermutlich insgeheim auch ein wenig neidisch. Denn während er eine Menge Erfahrungen gemacht hatte und eine ganz neue Art der Weltoffenheit an den Tag legte, hatte ich eigentlich so gar nichts zu erzählen. Ich war im gleichen Alltagstrott wie vor seiner Abreise ein Jahr zuvor: Ausbildung, Berufsschule, Feierabend, Wochenende. Woche für Woche.

Der Urlaub in Amerika gefiel mir sehr gut und insbesondere der Roadtrip durch den Bundesstaat Kalifornien hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Vielleicht verstärkt dadurch, dass ich die Reise aus den Augen der älteren Schwester betrachtete, die das Leben des kleinen Bruders in Amerika versuchte nachzuvollziehen und zu verstehen. Oder, weil zu der Zeit im Fernsehen Serien wie OC California und Gossip Girl das amerikanische Leben der (Reichen und Schönen) amerikanischen Jugendlichen romantisierte. In Amerika schien alles möglich, wenn eine reiche Familie aus Newport doch sogar einen Jungen aus einem sozial schwachen Umfeld in ihr Poolhaus aufnahm… Was natürlich in der Serie etwas überzogen ist, gefällt mir an Amerika bis heute: Die Offenheit, Freundlichkeit und Sympathie, die einem jeder Amerikaner zuallererst entgegenbringt (ganz gleich, ob der ein oder andere Deutsche das als oberflächlich empfinden mag, nett ist es allemal und ich finde es klasse).
Was auch immer den Stein genau ins Rollen gebracht hat, für mich ist sein Ursprung zeitlich auf jeden Fall in diese erste Reise nach Amerika einzuordnen. Denn eins war für mich nach dem Urlaub klar: Ich wollte auch mal in Amerika wohnen, bestenfalls in einem Haus an der Küste Orange Countys, so wie Ryan und Marissa, oder, wenigstens wie mein kleiner Bruder.

Bei Daniel kam der Wunsch viel später auf. Ganz genau wird er es selbst besser einordnen können, aus meiner Perspektive liegt der Ursprung jedenfalls genauso in einem Amerika-Urlaubsaufenthalt. Wieder waren wir in Kalifornien und wieder versuchten wir während des Urlaubs insbesondere das Leben und die Gesellschaft der Amerikaner nachzuvollziehen und zu imitieren. Unsere Freundschaften, die wir inzwischen gemacht hatten, versuchten uns, ihr Leben so gut es geht zu zeigen. Eines Abends brachten sie uns in ihr Lieblingsrestaurant, das Besta Wan Pizza House, welches mit Krakeleien auf Tischen und Wänden ironischerweise ein wenig an eine Pizzabude in Kreuzberg erinnert. Hier saßen wir und versuchten die Skizzen und Sprüche auf den Tischen zu entziffern. Und da stand es: Life begins where your comfort zone ends. Ich glaube, das war für Daniel der Punkt, an dem der Wunsch nach Abenteuer, nach Mehr, zum ersten Mal aufkam. Denn unser Leben in Deutschland war sicherlich komfortabel, aber war das alles, was wir im Leben erreichen wollten? Insbesondere, da uns dieser Komfort – dem sicheren Land Deutschland sei Dank – eigentlich schon in die Wiege gelegt wurde. Wir mussten dafür also kaum mehr tun, als mit etwas Verstand und vor allem einer großen Portion Glück auf die Welt zu kommen.
Ein paar weitere USA Aufenthalte, die Feststellung, dass unser Schulenglisch so langsam aber sicher nachließ und das Buch „The Big 5 for Life“ später war für uns beide klar: Wir wollen ins Ausland! Vielleicht nicht für immer, aber auf jeden Fall auf jeden Fall. Once in a life time! Nach Amerika sollte es gehen. Und so schmiedeten wir Pläne, überlegten uns Strategien, knüpften Kontakte, nahmen privaten Englischunterricht… Nur um dann gar nicht in Amerika zu landen. Wie es dazu kam und wie wir dennoch den Umzug ins Ausland geschafft haben, das erfahrt ihr im nächsten Beitrag.

Titelbild von Dark Astraal via pexels.
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