Leben im Ausland mit unvorhersehbaren Ereignissen – Wie sich die Covid-19 Pandemie auf unser Leben ausgewirkt hat

Machen wir uns nichts vor: Beim Gedanken ans Auswandern kommen einem vor allem die schönen Dinge in den Sinn, die so ein Abenteuer mit sich bringt. Die Freude auf ein Leben außerhalb der Komfortzone treibt einen auch dann noch, wenn der Gedanke zur Realität wird und man tatsächlich den Schritt wagt, ins Ausland zu gehen. Natürlich stellt man sich innerlich darauf ein, dass der Weg mitunter mit Steinen gepflastert sein wird. Man erwartet in gewisser Weise, dass nicht alles glatt gehen wird, aber versucht, sich darauf weitestgehend einzustellen: Zum Beispiel informiert man sich über das neue Land, die Kultur, das Wetter, die Politik, Regeln und Etiketten.

Dass man sich auf das tatsächliche Leben in einem fremden Land jedoch nur bedingt vorbereiten kann, weil die Praxis dann doch noch einmal ganz anders aussehen kann, das dürfen wir gerade am eigenen Leib erfahren. Denn manche Ereignisse lassen sich schlichtweg nicht vorhersehen. Und eigentlich ist ja auch genau das das Interessante und Schöne am Leben, bringt doch jeder Tag etwas Neues mit sich. Und nicht jede Schwierigkeit stellt automatisch ein Problem dar. Mit manchen Herausforderungen muss man auch umgehen lernen. Wenn zum Beispiel der Manager, der einen im Ausland eingestellt hat, kurz nach Beginn des neuen Jobs eröffnet, die Firma zu verlassen und damit eine ganz neue Arbeitssituation schafft. Oder eben – wenn es ganz doof läuft – man sich auf einmal in einer einer Pandemie befindet.

Und dann kam Corona

Wir sind Mitte Oktober 2019 nach Singapur gezogen und wurden bereits nach drei Monaten mit der Corona-Krise konfrontiert – in einem fremden Land, einer anderen Kultur mit anderen Regeln und ohne Familie oder Freunde. Was anfangs noch als schlechte Nachricht aus China abgetan wurde, entwickelte sich leider schnell zu einer weltweiten Krise und einer echten Herausforderung und Zerreißprobe für uns. Aber nun der Reihe nach.

Als wir Ende Januar zu Chinese New Year nach Desaru in Malaysia fuhren, war Corona schon in Singapur angekommen und man bekam sogar bereits die ersten Einschnitte im persönlichen Leben mit. Denn bei der Einreise in Malaysia war die Passkontrolle außerordentlich streng, Reisende aus China wurden gar nicht hereingelassen (Malaysia war eines der ersten Länder, das seine Grenzen zeitnah geschlossen hat, um sich vor der Ausbreitung des Virus zu schützen). Ich erinnere mich noch genau, wie Daniel zu mir sagte: “Ach, das ist sicher wegen des neuen Virus in China, dass die jetzt so streng sind…” 

Nach unserer Rückkehr änderten sich auch in Singapur einige Dinge. So musste Daniel zum Beispiel bei der Arbeit jeden Morgen und jeden Nachmittag beim Betreten des Gebäudes sowie der Arbeitsräume an seiner Stirn die Temperatur ablesen lassen und sich die Hände desinfizieren. Auch immer mehr Restaurants, Lokale und Geschäfte forderten beim Betreten die Angabe persönlichen Daten und einen kurzen Fieber-Check. Das fanden wir offen gesagt reichlich ungewöhnlich und es erschien uns auch etwas übertrieben, aber wir nahmen das so hin. Andere Länder, andere Sitten.

Eine Woche später kam dann die erste uns betreffende Hiobs-Botschaft. Für Daniel war ein Business-Trip nach Deutschland geplant und ich hatte mich dazu entschlossen, ihn zu begleiten. Ich hatte in Singapur bislang kaum soziale Kontakte und war auch arbeitsbedingt nicht an das Land gebunden. Von daher wollte ich die Chance nutzen, um Familie und Freunde zu sehen und ein paar Einkäufe in Deutschland zu erledigen. Jedoch stand der Business-Trip kurzfristig in den Sternen, denn eine Woche vor Antritt der Reise wurden erste Einschränkungen seitens Daniels Firma sichtbar. Die Leitung fragte sich, ob man denn in diesen Zeiten noch Business-Trips befürworten oder gar erlauben sollte. Einige Tage haben wir gebangt, ob wir den Flug überhaupt antreten könnten, wurden dann aber glücklicherweise nicht daran gehindert. In Deutschland wiederum wurden wir aber tatsächlich auch mit etwas Skepsis empfangen. Manche hatten Angst, wir würden das “Corona-Virus aus Asien” einschleppen. Dass es sich zu dem Zeitpunkt schon lange in Deutschland befand, konnte an dieser Stelle noch keiner ahnen – oder wollte es nicht wahrhaben.

Am Tag unserer Abreise nach Deutschland stellte die Singapurer Regierung derweil das “Dorscon Alert Level” auf die Farbstufe Orange. Jeder Status hat andere Maßnahmen und Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Leben zur Folge, wie zum Beispiel Temperatur-Screenings, verschärfte Grenzkontrollen oder auch Reiseeinschränkungen. Mit dem Anheben der Statusfarbe signalisierte die Regierung, dass der Ausbruch des Virus’ Covid-19 schwerwiegender, allerdings nach wie vor “alles unter Kontrolle” war. Trotzdem hatte das Verhaltensänderungen zur Folge, man wurde zum Beispiel stetig an die Einhaltung guter persönlicher Hygiene erinnert und auch die Grenzbestimmungen verschärften sich. Kurzfristig hatte die Veränderung des Dorscon Status’ aber eigentlich vor allem zur Folge, dass über eine Woche lang sämtliche Lebensmittelgeschäfte leergeräumt wurden und die Leute in eine Art Panik verfielen.

Singapurs Premier Minister rief in einer Videoansprache in sozialen Netzwerken die Bevölkerung zur Ruhe auf; es gebe reichlich Vorräte, die Stadt werde nicht abgeriegelt, und es würden auch nicht alle Bürger angewiesen, zu Hause zu bleiben, wie in China, Südkorea oder Italien geschehen (das habe ich mal frei aus Wikipedia genommen, um hier faktenbasiert zu bleiben).

Als wir am 14. Februar in Singapur einreisten, war von der ersten Panikwelle zum Glück nicht mehr so viel davon übrig. Wir nahmen zwar erneut die vielen Wärmebildkameras am Flughafen zur Kenntnis und bemerkten, dass die Straßen deutlich leerer waren, machten uns aber nicht all zu viele Gedanken.

Zum Stand 19. Februar waren 84 Infizierte in Kliniken behandelt worden, von denen 4 in die Intensivstation kamen (Wikipedia).

Die nächsten Wochen zogen so vorüber, wir hatten eine Menge zu tun in der Wohnung und auch die Eingewöhnung in Singapur beschäftigte uns. Wir bauten erste soziale Kontakte auf und freuten uns zunehmend auf Wochenenden mit unseren neuen Freunden. Verstärkte Maßnahmen (wie tägliches Fiebermessen) und Beschränkungen sowie Datenkontrolle nahmen wir so hin, auch wenn wir sie ein wenig ungewöhnlich empfanden. Aber gleichzeitig erwirkte das den Eindruck, dass Singapur den Ausbruch der Krankheit im Griff zu haben schien, ganz anders als Länder in Europa, wo zunehmend von schlimmen Krankheitsverläufen, Todesfällen und überlasteten Gesundheitssystemen berichtet wurde. In Singapur dagegen waren die meisten Patienten bereits geheilt und entlassen worden und es hatte beinahe den Anschein, als wäre das Virus schon wieder verschwunden. Entsprechend ging hier alles irgendwie so seinen Gang, wenn eben auch eingeschränkt. Wir waren sogar noch einmal in Thailand, nämlich am ersten Wochenende im März. 

Zum Stand 16. März gab es 121 bestätigte COVID-19-Fälle; fast ebenso viele Patienten waren als geheilt entlassen worden (Wikipedia).

Und dann erklärte die WHO am 11. März 2020 die Corona- Epidemie offiziell zu einer weltweiten Pandemie.

Und von da an ging alles ganz schnell. Internationale Flugverbindungen wurden gecancelt und Singapur setzte von einem auf den anderen Tag mehrere Länder auf die Liste, dessen Einwohner nicht mehr in Singapur einreisen durften – darunter auch Deutschland. Mein 30. Geburtstag stand an und eigentlich hatten meine Eltern schon vor unserem Umzug nach Singapur einen Flug gebucht, um das besondere Ereignis mit mir zu verbringen. Auch eine gute Freundin wollte uns besuchen und mit mir im Vorfeld noch auf die Philippinen fliegen. Da man zu diesem Zeitpunkt durchaus noch innerhalb Asiens reisen konnte, buchte meine Freundin kurzerhand ihren Flug um und stand keine 48 Stunden später bei uns in der Wohnung. Gerade noch rechtzeitig, bevor Singapur keine Reisenden aus Deutschland mehr ins Land ließ (Im Nachhinein betrachtet, war das vielleicht ein wenig naiv, aber wir hatten ja auch echt keine Ahnung, was auf uns zukommen sollte…)

Zeitlich beschloss die Regierung, alle Reisen bis auf weiteres zu untersagen und die Grenzen zu schließen – sogar die nach Malaysia. Damit saßen wir fest. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. In einem Stadtstaat, der so groß ist wie Hamburg und der zudem noch vom Meer umschlossen ist.

Wir hatten dennoch für die nächsten Wochen eine schöne Zeit, da wir allerhand zu tun hatten, meiner Freundin, die ja nun mehr oder weniger in Singapur gestrandet war, unser neues Leben und die Stadt zu zeigen. Wobei die Maßnahmen immer strikter und einschneidender wurden. Meiner Freundin wurde in vielen Bars und Restaurant der Eintritt verwehrt und auch die Frequenz der Fiebermessungen erhöhten sich. Teilweise haben wir wirklich zehn Mal am Tag unsere Stirn an ein Fieberthermometer halten müssen. Aber die Singapurer blieben weiterhin positiv und vergnügt, immerhin hatte das Land kaum Infektionen und überhaupt keine Todesfälle zu verzeichnen.

Ab dem 20. März 2020 wurden weitere soziale Distanzierungsmaßnahmen angekündigt, darunter die Aussetzung von Veranstaltungen mit mehr als 250 Teilnehmern. Die Government Technology Agency kündigte die neue TraceTogether an, um die Kontaktverfolgung im Gesundheitsministerium zu verbessern (Wikipedia).

Als sich die Situation in Europa jedoch zuspitzte und immer mehr Airlines ihre Flüge aus dem Sortiment nahmen, wurde die Situation aber für meine Freundin etwas zu brenzlig (zwei Rückflüge mit unterschiedlichen Airlines waren bislang gecanceled worden) und sie buchte sich kurzerhand einen weiteren Flug mit einer dritten Gesellschaft und flog an einem Freitagabend zurück nach Deutschland. Am gleichen Tag wurden in Singapur alle Unterhaltungsgeschäfte, Nachtclubs, Bars sowie Massenveranstaltungen untersagt bzw. geschlossen.

Der Zeitpunkt für die Abreise meiner Freundin hätte also nicht idealer sein können. Und als hätte sie es geahnt, verkündete Singapur eine Woche später den “Circuit Breaker” – eine Art Lock Down mit “kleineren” Einschränkungen des Alltags, mit dessen Hilfe der Virus aus Singapur endgültig verbannt werden sollte. Dieser Lockdown fiel leider genau auf meinen 30. Geburtstag, am dem nicht nur meine Eltern nicht kommen konnten, sondern wir nun auch auf Anweisung der Regierung zu Hause bleiben mussten. Am Tag meines Geburtstag wurde dann auch noch die allgemein-gültige Maskenpflicht außerhalb der eigenen vier Wände ausgerufen. 

Hätten wir gewusst, dass der ursprünglich auf vier Wochen angesetzte Circuit Breaker mehrere Monate anhalten würde und die Maßnahmen und Einschränkungen sich immer weiter verschärften, ich glaube, ich wäre direkt mit meiner Freundin mitgeflogen. Ganz ehrlich. Denn seit Ende März befinden wir uns hier in einer Art Wachkoma. Wir können nichts machen, dürfen nicht raus aus den eigenen vier Wänden (es sei denn für essentielle Erledigungen wie zum Beispiel dem Einkaufen) und wenn dann auch nur mit einer Maske im Gesicht. Wir dürfen niemanden sehen, der nicht im gleichen Haushalt lebt (teilweise durfte man nicht einmal gleichzeitig mit anderen Personen aus dem selben Haushalt auf die Straße). Und die Maßnahmen werden engmaschig überwacht.

Das fortschrittliche Singapur zeigt auch im Lock Down seine Expertise und kann mit allerlei Apps und digitalen Systemen aufwarten. Wenn wir einkaufen gehen, müssen wir uns zum Beispiel sowohl am Eingang der Mall, als auch im Lebensmittelgeschäft mit unseren persönlichen Daten “einloggen” und auch wieder “ausloggen”. Wenn man mehrere Geschäfte innerhalb einer Mall aufsuchen muss, dann kann es schon mal vorkommen, dass man in vier unterschiedlichen Systemen seine Datenspuren hinterlässt.

Die Monate April und Mai sind irgendwie so vorübergezogen und jetzt befinden wir uns schon im Juni. Wir sind seit nunmehr acht Monaten in Singapur und haben davon knapp drei in unseren eigenen vier Wänden verbracht, ohne soziale Kontakte, ohne ein echtes Leben in der neuen Heimat. Und während uns bewusst ist, dass es vielen Leuten auf der Welt ähnlich geht, ist die Situation für uns schon äußerst schwierig. Denn: Wir wissen gar nicht so recht, wie das Leben in Singapur eigentlich wäre. Wir haben kaum soziale Kontakte, auf die wir uns nach möglichen Lockerungen freuen können. Wir wissen nicht, wann wir das nächste Mal in eine andere Nachbarschaft dürfen, zum Strand, oder in einen Park. Nicht mal unseren eigenen Pool oder die Gemeinschaftsanlagen des Condos dürfen wir benutzen. Ganz zu schweigen davon haben wir keine Ahnung, ob wir irgendwann wieder reisen dürfen und unter welchen Bedingungen das sein wird.

Dass Singapur ein Stadtstaat ist, macht die Sache nicht besser, denn jegliche Grenzöffnung bedeutet einen internationalen Übertritt. Und die Grenzen Singapurs sind nach wie vor geschlossen, selbst zu umliegenden Ländern wie Malaysia oder Indonesien. Nach wie vor sitzen tausende Malaysier in Singapur “fest”, haben hier ihre Arbeit und leben deshalb im (teuren!) Hotel, kommen nicht nach Hause. Andersrum sieht es ähnlich aus: Es gibt unzählige, wahrscheinlich tausende, Menschen, die wohnhaft in Singapur sind, aber irgendwo auf der Welt gestrandet sind, häufig von ihrer Familie getrennt festsitzen und nicht ins Land kommen. Und die Regierung macht ziemlich klar, dass das auch noch eine ganze Weile so bleiben wird.

Was bedeutet das für uns? Wir wissen es aktuell nicht, ganz ehrlich. Wir können nur abwarten, die Situation beobachten, Hoffnung schöpfen dass Singapur aus der Krise wirklich “stronger than ever” hervorgehen wird, so wie es heißt.

Fakt ist: Für uns ist diese Situation eine ganz neuartige Erfahrung, die wir eigentlich so nie machen wollten. Natürlich ist der Gang ins Ausland auch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden und setzt Geduld, Anpassungsfähigkeit und Durchhaltevermögen voraus, ganz klar. Das wollten wir ja, das Abenteuer Ausland. Aber so weit weg von Familien und Freunden auf einer kleinen Insel in den eigenen vier Wänden festzusitzen, mit einer anderen Art der Regierung und Kultur auszukommen und das ohne Aussicht auf baldige Besserung… hat das noch was mit dem Traum vom Ausland zu tun?


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